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Mit einzigartigen Funden aus dem dänischen Nationalmuseum Kopenhagen und zahlreichen weiteren renommierten Museen widmet sich das Varusschlacht-Museum mit der Sonderausstellung „Götter, Glaube und Germanen“ vom 28. April bis 28. Oktober 2018 den Glaubenswelten der Germanen. Die Schau ermöglicht einen umfassenden Überblick über die Erkenntnisse zur religiösen Praxis der Germanen in Norddeutschland und Dänemark im 1. Jahrtausend nach Christus. Nach ihrer ersten Station im Archäologischen Museum in Frankfurt wird die Schau in Kalkriese mit neuen Schwerpunkten und inhaltlichen Aspekten gezeigt. „Nicht nur optisch zeigt sich die Ausstellung in neuem Gewand. Wir haben einen regionalen Akzent gesetzt und rücken anhand von Exponaten, wie zum Beispiel dem Brunnenfund von Bad Pyrmont, die germanischen Glaubenswelten in Norddeutschland in den Mittelpunkt“, so Dr. Joseph Rottmann, Geschäftsführer Varusschlacht im Osnabrücker Land. Auf der 500 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche zeigen drei Kapitel die germanischen Kult- und Herrschaftspraktiken in den frühen nachchristlichen Jahrhunderten.

Dabei werden ausgehend von den Forschungsgrabungen der letzten Jahre an den dänischen Fundplätzen Hoby, Gudme und Tissø durch das Nationalmuseum Kopenhagen die neuen Erkenntnisse zum vorchristlichen Glauben und der religiösen Praxis der Germanen schlaglichtartig beleuchtet.

Die Glaubenswelten der Germanen erschließen sich nur auf Umwegen. Schriftliche Überlieferungen fehlen. Einzig archäologische Funde und Berichte von römischen Autoren, christlichen Missionaren und Reisenden geben Auskunft über die Religion der Germanen.

Diese sind nicht eindeutig, lückenhaft und daher kein direktes Zeugnis vorchristlicher Glaubenswelten. „Vor diesem Hintergrund lässt sich nur eines sicher sagen: Es gab vermutlich eine bunte Fülle von kultischen Ritualen, Glaubensvorstellungen und Götterbildern, aber auch Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten“, erklärt Museumsleiterin Dr. Heidrun Derks. Im ersten Jahrtausend sind in Mitteleuropa drei prägende Entwicklungsphasen zu fassen: der Aufstieg des römischen Reichs, die Entstehung der germanischen Königreiche und die Ausbreitung des christlichen Glaubens. Schon im 5. Jahrhundert wird mit dem stärkeren Einfluss von Frankreich unter Chlodwig die Christianisierung stark vorangetrieben. In der gleichen Zeitspanne ist auch in Skandinavien die Strahlkraft der römischen Kultur erkennbar. Hier etabliert sich eine Elite, die in wenigen Jahrhunderten die Oberhand über Politik, Wirtschaft und Religion gewinnt. Erst als die Wikinger beginnen, die europäischen Küsten heimzusuchen, werden die christlichen Missionare aufmerksam – der Beginn der Christianisierung in Skandinavien. Von Dänemark bis Island verehrte man bis in das 11. Jahrhundert hinein noch die alten Götter. Die Raumgestaltung spannt den Bogen vom Götterglauben unter freiem Himmel bis hin zu den ersten Kultbauten. Eingangs steht ein stattlicher „Götterbaum“. Große lichtdurchlässige Panoramaaufnahmen führen durch die Weite wechselnder Landschaften und bilden den Hintergrund für die eindrucksvollen Opfergaben und archäologischen Funde Mystisch anmutende Moor- und Salzwiesenhorizonte stehen im Kontrast zu den leuchtenden Farben des Ausstellungsmobiliars. Akzente, die an das Wechselspiel von Licht und Schatten in der freien Natur erinnern. Durch die offene Weite des Raumes hindurch erscheint am Horizont das innere eines mächtigen Kulthauses, das, ausgestattet mit zwei imposanten Holzgötzen, in die Zeit der ersten sakralen Bauten überleitet.

Kult und Ritual
Das erste Kapitel der Ausstellung widmet sich dem Götterhimmel der Germanen. Zwei göttliche Familien teilen sich den nordischen Götterhimmel. Die Asen und die Wanen schlossen erst nach langem Kampf Frieden. Nach einer mittelalterlichen Dichtung wurde Odin ihr Oberhaupt. Ältere Texte dagegen berichten von drei Hauptgöttern. Odin, Thor und Týr, von den Römern Merkur, Herkules und Mars genannt. Hier geben exzeptionelle Fundstücke einen Eindruck der Gottesverehrung. Silbervergoldete, bronzene Figürchen der Walküren aus der Wikingerzeit aus dem Dänischen Nationalmuseum Kopenhagen sind ein Sinnbild für die detailreiche Darstellung der Götterverehrung. Formschöne Fibeln und weitere Abbilder der germanischen Gottheiten ergänzen die Darstellung der Götter im Zusammenhang mit den Kulten und Ritualen.

Um in den Dialog mit den Göttern zu treten, hatten die Germanen vielfältige Opferrituale. Geopfert wurden Schmuck, Waffen, Werkzeug, Tiere und mitunter auch Menschen. Opferungen fanden in der Natur, oftmals an Gewässern, statt. Vielfach wurde an so genannten Herrschaftssitzen geopfert – hier zeigt sich die enge Verflechtung von politischer und religiöser Macht. Militärische Siege verlangten größeren Dank. Das zeigen Funde aus heute verlandeten Seen in Dänemark und Schleswig-Holstein. Tausende Waffen wurden hier offenbar als Kriegsbeute niedergelegt. Exemplarisch hierfür steht Thorsberg als großes Opfermoor aus der Wikingerzeit. Zu sehen sind in der Ausstellung unter anderem Schwertgriffe, ein Schildbuckel und ein Brustgeschirr aus Thorsberg. Der Bad Pyrmonter Brunnenfund, der in Teilen gezeigt wird, ist womöglich ein Privatopfer. Über mehrere Jahrhunderte opferten Menschen hier mehr als 250 Fibeln und eine Schöpfkelle als Dank oder Bittopfer. Damit zählt dieser Fundkomplex zu den bedeutendsten frühgeschichtlichen Opferfunden Mitteleuropas. Ein Beleg für ein mögliches Menschenopfer sind die Männer aus Hunteburg, die in Kalkriese als Abguss gezeigt werden. Das Modell hat in den vergangen Wochen die hiesige Restauratorin Christiane Matz komplett überarbeitet. Dieser Fund gibt bis heute Rätsel auf. Die zwei Männer, die von Torfarbeitern 1949 gefunden wurden, lagen eng nebeneinander, jeder in einen aufwändig gewebten Mantel eingehüllt.

Außer ihren sehr gepflegten Fuß- und Fingernägeln ließen sich keine weiteren besonderen körperlichen Merkmale mehr feststellen. Auch Hinweise auf die Todesumstände gibt es nicht. Bedauerlicherweise verbrannten die Leichen bei späteren Konservierungsmaßnahmen.

Heute vermitteln nur noch alte Fotos und dieser Gipsabguss einen Eindruck von der damaligen Fundsituation.

Herrschaft und Macht
Ein weiteres Kapitel der Schau befasst sich mit den Säulen der Macht in der germanischen Gesellschaft. Großangelegte Grabungen haben in den vergangenen Jahren erstaunliche Erkenntnisse ans Tageslicht gebracht. Besonders an dänischen Fundplätzen wie Hoby und Gudme (beide Dänemark) lässt sich in den ersten Jahrhunderten nach Christus eine Entwicklung hin zu ersten Herrschaftsresidenzen mit angegliederten Kultarealen ausmachen. Hier finden sich neben Fürstengräbern auch Dörfer und Siedlungen. In Hoby sind zahllose Gruben und zwei künstlich angelegte Seen, in denen sich zahllose Tierknochen finden, ein Indiz für Zeremonien und Opferrituale. Aus Hoby zeigt das Varusschlacht-Museum zwei aufwändig verzierte Silberbecher.

„Wir haben schon im Jahr 2009 in der Konflikt-Ausstellung und im Jahr 2015 bei der Germanicus-Ausstellung Repliken dieser wirklich schönen römischen Becher mit einer Darstellung von Homer gezeigt. Jetzt haben wir beide Becher im Original bei uns in Kalkriese – das ehrt und freut uns ausgesprochen“, so Dr. Joseph Rottmann. Gudme ist als Fundplatz mit 50 Höfen, Werkstätten und mehreren auffallend großen Gebäuden und einer Vielzahl an Gold- und Silberschätzen, darunter allein 1000 römische Münzen, nicht nur Sitz der Elite, sondern auch ein religiöses Zentrum. Hier weist alles auf die Niederlegung von Opfergaben hin. Auch der Name Götterheim für Gudme deutet darauf hin. Als weiterer Beleg für die Entwicklung von Herrschaftszentren werden mit der Feddersen Wierde und Sievern den skandinavischen Fundplätzen zwei norddeutsche Ausgrabungen gegenübergestellt. Bereits in den 1950er Jahren konnten Wissenschaftler auf der Feddersen Wierde bei Cuxhaven ähnliche Baubefunde wie in Hoby und Gudme freigelegt. Sie blieben hierzulande ohne Vergleich und konnten aufgrund ihrer Singularität deshalb bisher in keinen kulturhistorischen Kontext gesetzt und angemessen gedeutet werden. Mit den Erkenntnissen aus den dänischen Forschungsgrabungen ergibt sich nun für diesen wie auch für andere Fundplätze Niedersachsens ein neuer Deutungsrahmen.

Zeitlich später als Hoby, Gudme und die Feddersen Wierde sind die Funde von Tissø (Dänemark) einzuordnen, die in der Ausstellung aufgrund Ihrer Bedeutung einen besonders großen Platz einnehmen. Große Häuser, monumentale Hallen und Kultgebäude und deren spezielle Anordnung weisen in Tissø auf eine königliche Residenz mit einer 500 Jahre währenden Geschichte hin.

Zeigen Hoby, Gudme und weitere Orte durch die Nähe von Herrschaftssitz, Kultareal und Siedlung wie Politik und Religion immer mehr verschmelzen, erkennt man in Tisso durch die monumentale Architektur einen zentralen Ort der Macht, der Wirtschaft und der Religion. Von den 12 000 Objekten, die von Archäologen hier entdeckt wurden, zeigt das Kalkrieser Museum eine vielfältige Auswahl mit Belegen für den Alltag und das Leben, den Handel und die religiösen Rituale in Tissø. Besonders hervorzuheben ist hier der Goldreif aus Tissø. Dieser wird im Original zu sehen sein und diente wahrscheinlich als Zeremonialring für die überlebensgroßen Holzgötzen, die in Tisso gefunden wurden und in der Ausstellung als beeindruckender Nachbau zu sehen sind.

Der neue Glauben
Im letzten Teil der Ausstellung geht es um die frühe Christianisierung in Skandinavien und Mitteleuropa. Das Recht auf freie Religionswahl im Jahr 313 n. Chr. durch Kaiser Konstantin markiert einen Wendepunkt. 200 Jahre später sind weite Teile Süd- und Westeuropas christlich geprägt. Weitere 200 Jahre später fasste der christliche Glaube auch in den nordischen Ländern und Osteuropa Fuß. Ein besonders schönes Beispiel für den Übergang der paganen Religionen zum Christentum ist der Goldreif aus Råbylille (Dänemark). Er zeigt eine außergewöhnliche Verzierung: Ein Dreieck versinnbildlicht den Berg Golgatha. Kreuze an den Hängen stehen für die mit Jesus hingerichteten Verbrecher. Auf der Bergspitze symbolisiert der Lebensbaum das Kreuz Christi. In diesem Kontext konnte das Varusschlacht-Museum auch herausragende Funde aus der Region ausleihen: Von der Osnabrücker Stadt- und Kreisarchäologie in Osnabrück sind mehrere reich verzierte Fibeln im Original und die bekannte Taubenfibel als Replik ein Zeichen für die frühe Christianisierung in der Region. Den Abschluss der Ausstellung bilden die Armreliquiare des Heiligen Alexanders aus der Pfarrgemeinde Sankt Mariä Himmelfahrt Vechta.

Beeindruckend in der Gestaltung stehen sie nicht nur für ein wirkmächtiges Symbol des christlichen Glaubens, sondern spielen bis heute bei Prozessionen im Glauben eine aktive Rolle.

Die Sonderausstellung „Götter, Glaube und Germanen“ ist in Kooperation mit dem Archäologischen Museum in Frankfurt und dem Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen entstanden. Vor Ort haben die Ausstellung Museumsleiterin Dr. Heidrun Derks und Dr. Stefan Burmeister kuratiert. Das grafische Gesamtkonzept hat die Grafikerin Gabriele Dlubatz entwickelt.

Ein umfangreiches Begleitprogramm mit Angeboten für Kinder, speziellen Führungen und einer Schnitzwerkstatt in den Sommerferien begleitet die Ausstellung. Informationen zur Ausstellung sind auf der Homepage des Museums unter www.kalkriese-varusschlacht.de abrufbar. Öffentliche Führungen in der Sonderausstellung werden an Sonn- und Feiertagen um 16:00 Uhr angeboten.

Die Ausstellung „Götter Glaube und Germanen“ wird gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die Stiftung Niedersachsen. Zum Gelingen haben weiter die Firmen Starcke, 3A Composit und EBM beigetragen.

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