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Die Erfindung von Menschenrassen

Vor den Köpfen des Eduard Schmidt von der Launitz (1797–1868). © Oliver Killig Rassismus ist eine menschenfeindliche Ideologie und gleichzeitig eine alltägliche Praxis, durch die viele Menschen unter uns mit Diskriminierung und Gewalt konfrontiert sind. Aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Aussehens, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer Sprache machen sie immer wieder erniedrigende Erfahrungen, die für andere Teile der Bevölkerung nur schwer vorstellbar sind. Rassismus verletzt aber nicht nur die Einzelnen, er widerspricht auch den Idealen menschlicher Gleichheit und Freiheit, die unserer demokratischen Gesellschaft zugrunde liegen.

Die neue Sonderausstellung des Deutschen Hygiene-Museums fragt danach, welcher Zusammenhang zwischen dieser Form des Rassismus und dem Begriff der „Rasse“ selbst besteht. Dabei geht es weniger um die Geschichte dieses gefährlichen Wortes, das in unserer Gesellschaft inzwischen weitgehend geächtet ist, als um die Struktur und Wirkung dieser langlebigen Idee. Denn mit der Kategorie „Rasse“ werden nur scheinbar menschliche Unterschiedlichkeiten beschrieben, in Wahrheit dient sie dazu, politische, soziale und kulturelle Ungleichheit zu begründen.

Obwohl die Menschen überall auf der Welt ganz unterschiedlich aussehen – so etwas wie „Menschenrassen“ gibt es nicht. „Rassen“ sind eine wissenschaftliche Erfindung, die seit dem 18. Jahrhundert ihre unheilvolle Macht entfaltet hat. Die Ausstellung analysiert die Methoden, mit denen dieses Denken entwickelt wurde, und sie zeigt die Bilder und Medien, in denen sie sich verbreitet haben. Eine eigene Abteilung thematisiert die Rolle des Deutschen Hygiene-Museums als Propagandamaschine der sogenannte „Rassehygiene“ während des Nationalsozialismus. Ein weiteres Kapitel ist der rassistischen Herrschafts- und Ausbeutungspolitik in der Epoche des Kolonialismus gewidmet, deren Folgen bis zu den Fluchtbewegungen unserer Tage nachwirken.

Neben dieser kulturhistorischen Betrachtung des „Rasse“-Begriffs, kommen in allen Abteilungen auch solche Persönlichkeiten und Bewegungen zu Wort, die sich kritisch und widerständig mit rassistischen Ideologien auseinandergesetzt haben. Zahlreiche Medienstationen, Interview-Filme und Video-Installationen stellen aktuelle Themenfelder zur Diskussion: Alltagsrassismus, die Debatte um die Populationsgenetik, die Rückgabe von geraubten Kulturgütern oder die Herausforderungen einer postmigrantischen Gesellschaft.

Das Projektteam um die Kuratorin Susanne Wernsing wurde beraten von einer Arbeitsgruppe aus Expertinnen und Experten, die sich persönlich, wissenschaftlich, aktivistisch oder in Bildungsprogrammen mit rassistischen Erfahrungen auseinandersetzen; deren kritische Kommentare sind zu einem wichtigen Bestandteil der Ausstellung und des Katalogs geworden. Die Gestaltung der Ausstellung hat das Büro KÉRÉ Architecture aus Berlin übernommen; der aus Burkina Faso stammende Architekt Diébédo Francis Kéré hat 2017 mit seinem spektakulären Pavillon für die Londoner Serpentine Galleries großes Aufsehen erregt.

Rundgang durch die Abteilungen

Eduard Schmidt von der Launitz (1797–1868), Büsten mit unterschiedlichen ethnischen Merkmalen nach Blumenbach, um 1850.01: Wie unterschiedlich sind wir?

Eine raumgreifende architektonische Skulptur strukturiert die erste Ausstellungsabteilung. Die modulare Struktur aus Holzelementen greift assoziative Verweise der vormodernen ‘Wunderkammer’ ebenso auf wie die Klassifikationssysteme in den Wissenschaften der europäischen Moderne. Der Parcours durch die Abteilung folgt dem Muster organischer Strukturen, die die Strenge der Raumordnung durchbrechen.

Ein Einführungsbereich oder „Prolog“ zeigt ein Panorama von Werkzeugen und prominenten Akteuren der Rassenproduktion vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Eine Installation konfrontiert zwei Leitobjekte, den Koffer mit den Werkzeugen eines Geisterjägers und ein Kasten mit den Instrumenten der frühen Kriminalistik. Die Installation wirft die Frage auf, warum wir einer Idee wie die der menschlichen Rassen glauben bzw. was sie für uns evident macht.

Die Abteilung thematisiert die Erforschung menschlicher Diversität. Sie beschreibt wichtige Stationen der wissenschaftlichen Arbeit an der menschlichen Vielfalt und deren Kategorisierung vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dabei verfolgt sie Techniken und Bilder der Rassenkonstruktion von der äußeren Gestalt (Kopf/Gesicht, Haut, Körperform) über Blut und Zellen bis in die DNA. Deutlich wird dabei, dass die Rassenkonstruktion nicht von einer einzigen Disziplin und nach einer einzigen Kategorie erfolgte, sondern in einem Netz von Wissenschaften und Kriterien, die immer wieder neu zusammengesetzt und aktualisiert wurden. Auch die Genetik kann menschliche Rassen nicht nachweisen, geforscht wird aktuell an Populationen und Mustern genetischer Variation; über diesen naturwissenschaftlichen Aspekt informieren Interviewfilme mit Forscherinnen und Forschern, die für die Ausstellung produziert wurden.

Eduard Schmidt von der Launitz (1797–1868), Büsten mit unterschiedlichen ethnischen Merkmalen nach Blumenbach, um 1850.02: Wo sehen wir Rassen?

Die zweite Abteilung greift das Raumbild einer Kunstgalerie auf. Die Monumentalität der Wände wird durch eine an Beton erinnernde Oberflächenstruktur unterstrichen. Präsentiert werden Kunstwerke, die im Nationalsozialismus beschlagnahmt und als „entartet“ diffamiert wurden. Historische Lehrmittel und Propagandamaterialien werden in Vitrinentischen zur kritischen Analyse ausgebreitet.

Die Abteilung thematisiert die Vermittlung und Popularisierung von Rassenkonstruktionen im Zeitraum zwischen der I. Internationalen Hygieneausstellung in Dresden 1911 und dem Nationalsozialismus. Der Fokus liegt hier auf der Ausstellungspolitik, den Verbreitungsmedien und den wissenschaftlich-politischen Netzwerken der damaligen Zeit. Mit der frühen Geschichte des Deutschen Hygiene-Museums wird der Schwerpunkt exemplarisch auf eine Institution gelegt, in der die akademische Etablierung der deutschen Rassenhygiene und ihre öffentlichkeitswirksame Popularisierung schon vor 1933 vollzogen wurden. Ebenso exemplarisch sind in Dresden weitere Formate nationalsozialistischer Ausstellungspolitik zu verfolgen, nämlich der Start der Wanderausstellung Entartete Kunst 1933 und die Ausrichtung der Deutschen Kolonial-Ausstellung 1939.

Eduard Schmidt von der Launitz (1797–1868), Büsten mit unterschiedlichen ethnischen Merkmalen nach Blumenbach, um 1850.03: Wer sind wir? Wer sind die anderen?

Die Raumarchitektur der dritten Abteilung dekonstruiert die „weiße“ Lenkung des Blicks, mit dem Exotismen und das „Andere“ historisch repräsentiert wurden, und hebt die zahlreichen widerständigen Gegenblicke hervor, von denen diese begleitet wurden.

Mit der kolonialen Gewaltherrschaft europäischer Nationalstaaten thematisiert die Abteilung die geopolitische Dimension der Rassenideologie. Die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts etablierte Weltordnung beschreibt diese Abteilung als prägend bis heute und schlägt damit den Bogen zu den Diskursen aktueller globaler Fluchtbewegungen. Die rassistische Ideologie der Ungleichheit stellte Argumente bereit, um politische Hegemonien und ökonomische Ausbeutung in der außereuropäischen Welt zu legitimieren, sie wurde von Europa exportiert und führte zu regionalen Konflikten und Genoziden. Die Ausstellung zeigt die Aufteilung der Welt durch Schichtung historischer Weltkarten. Die Konstruktion ‚des Anderen als Fremder‘ und die angebliche weiße Überlegenheit werden anhand zeitgenössischer Kulturstufentheorien und Repräsentationen in ethnologischen Sammlungen, Völkerschau und Panoptikum gezeigt.

Modell eines Ochsenwagens aus Deutsch-Südwestafrika, 1939. Kurt Tausch (1899-1969). © Museum für Kommunikation Berlin

Eduard Schmidt von der Launitz (1797–1868), Büsten mit unterschiedlichen ethnischen Merkmalen nach Blumenbach, um 1850.04: Wie wollen wir zusammen leben?

Am Ende des Parcours erfolgt ein konsequenter Medienwechsel hin zu Filmen und Videos, die eigens für die Ausstellung produziert wurden. Mit der fließenden und raumgreifenden Architektur von Francis Kéré, die gleichzeitig offene und intime Räume schafft, versteht sich die letzte Abteilung als eine Art Kontaktzone für die Besucherinnen und Besucher.

Vor dem Hintergrund der historisch und gegenwartsbezogen argumentierenden ersten Abteilungen soll am Ende der Ausstellung die Aktualität rassistischer Erfahrungen und ihre mögliche Überwindung ganz im Vordergrund stehen. Die Abteilung ist als Ort des Dialogs und des Gesprächs konzipiert, an dem sich das Publikum am Beispiel der hier gezeigten Filme und Videoinstallationen noch einmal über die Themen der Ausstellung austauschen kann: Was trennt uns? Was verbindet uns? Wer wollen wir zusammen sein?

Rassismus - Die Erfindung von Menschenrassen
Deutsches Hygiene-Museum, Dresden
19. Mai 2018 – 6. Januar 2019
Dienstag bis Sonntag, Feiertage: 10 bis 18 Uhr
Weitere Informationen: www.dhmd.de/

Das Projekt "Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen" besteht nicht allein aus der Ausstellung, sondern umfasst auch ein umfangreiches Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm, das mit unterschiedlichen Partnern entwickelt wurde und die gesamte Laufzeit begleiten wird. Es richtet sich an politisch aktive und kulturell interessierte Besucherinnen und Besucher und insbesondere an Jugend- und Schülergruppen ab der Klassenstufe 6.

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