Der
Titel ist irreführend. Wie der Verfasser im Vorwort schreibt,
ist „die Schwerpunktsetzung einseitig: Es geht im Folgenden
nicht um sozial-, wirtschafts- oder kulturgeschichtliche
Probleme der badischen Geschichte des 19. Jahrhunderts,
sondern um die Entwicklung des politischen Systems im Großherzogtum.“
Nun kennt man die Crux einer Reihe von „Kleinen Geschichten“,
wo eben auf schmalem Raum meist differenzierte Vorgänge
erzählt und nicht einfach chronikal aufgezählt werden sollen.
Erinnert man sich an eine andere Reihe, z. B. die des Heinrich
Scheffler Verlags vor 40, 50 Jahren, wo bei gleichem Umfang
die Geschichte Englands, Spaniens, Rußlands und anderer
Staaten publiziert wurden, dann wundert man sich über eine
solche Einseitigkeit. Die Geschichte Frankreichs von Friedrich
Sieburg bei Scheffler zu lesen, ist auch heute ein Genuss.
Von den Galliern angefangen bis de Gaulle mit einer dreiseitigen
kritischen Literaturangabe, einem Register samt Bildtafeln
auf 195 Seiten, das ist eine Kunst der Raffung bei gleichzeitiger
stilistischer Brillanz, mit Quellenzitaten und anregenden
Kapitelüberschriften durchsetzt. Da wird weder die Wirtschaft
noch die Welt der Künstler und Dichter ausgespart.
Nun
ist die vorliegende Publikation großzügig gedruckt, sehr
handlich und sympathisch im Format, mit zahlreichen Abbildungen
und grauseitigen Tableaus aufgelockert, ein Buch, das man
gern zur Hand nähme, wenn es etwas mehr böte. Wollte d.
Verf. sich von der „Geschichte Badens“ (1992) des Freiburger
Historikers Wolfgang Hug unterscheiden, der für die Geschichte
des Großherzogtums rund 120 Blätter, freilich bei größerem
Seitenumfang, benötigt? Engehausen beginnt bei der Entstehung
des neuen Badens alsbald mit der Verfassung von 1818 und
verknüpft dieses besondere Ereignis wie auch 1848 und 1870
mit der bundesdeutschen Entwicklung. Dabei wird die liberale
Sonderstellung Badens sehr deutlich und das Ringen in diesem
Prozess in vielen Einzelheiten anschaulich geschildert.
Wer diesen sucht einschließlich einer Parteiengeschichte
oder Grundsätzliches zu einer konstitutionellen Monarchie,
findet hier zuverlässige Informationen. Aber kann man die
Geschichte einer Partei ohne Rückkoppelung an die gesellschaftliche
Entwicklung verdeutlichen? Wieso wuchs die Sozialdemokratie
Badens im letzten Drittel so stark an, ohne dass man von
der Industrialisierung dieses Landes etwas erführe?
Der
Heidelberger Kulturhistoriker Eberhard Gothein zitierte
um 1890 seinen Lehrer Wilhelm Dilthey, dass es Aufgabe der
Geschichte sei, das „Hervorbringen menschlichen Geistes“
zu verstehen. Daher schloss er: „Eine ausschließliche politische
Geschichtsschreibung, die nur das Staatsleben behandelt,
kann dieser Aufgabe nicht gerecht werden.“ Kann man Baden
im 19. Jh. zutreffend charakterisieren ohne auf die Verstädterung
hinzuweisen, den Wandel des ländlichen Raumes, die Wachstumsfaktoren,
die Lage der Arbeiterschaft? Hug schafft das bei fast gleichem
Umfang, und da werden auch noch Personen charakterisiert,
die bei Engehausen nur blass erscheinen. Die Großherzogin
Luise z. B. wird in einem Nebensatz erwähnt, doch jeder
kennt die Bedeutung des Badischen Frauenvereins, der eine
patriachalische Alternative zur sozialen Frage war und die
Atmosphäre in diesem südwestdeutschen Land prägte. Zudem
wird für den Laien die Verfassungs- und Parteiengeschichte
schnell trockenes Politikwissen. Wenn man landesfremden
Studierenden oder zugereisten Nichtbadenern die Herkunft
dieses Landes erklären will, müßte man weiter greifen. Liberalität
ist nicht nur eine Verfassungsfrage, sie ist eine humane
Lebensform. Und mehr Leben wünschte man sich selbst in „Kleinen
Geschichten“
Leonhard
Müller
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